Der Architekt und das Wasser
Wer mit CAD-Programmen in der dritten Dimension arbeitet, hat in der Regel mit NURBS zu tun. Diese Freiformflächen-Objekte haben die guten alten Polygonmaschen bei der Beschreibung komplexer dreidimensionaler Geometrie fast überall abgelöst. Auch in der Architektur hielten sie Einzug, und die Freiheit und Leistungsfähigkeit, die diese rein mathematisch definierten Flächen mit sich bringen, hat so manchen Entwurf aus dem Lot gebracht.
Friedrich Busam / CAD-News
Der Experimentalbau "Bubbles" - zwei Wassertropfen aus Alu und Plexiglas, eingefroren im Augenblick ihrer Verschmelzung
Vor Jahren machte der kalifornische Star-Architekt Frank Gehry den Anfang, indem er das in Architektenkreisen noch unbekannte Hochleistungs-Programm Catia für seine Entwürfe nutzte und damit völlig neue Formen nicht nur kreieren, sondern auch baulich umsetzen konnte. Mit dem Erscheinen schlanker und unkomplizierter NURBS-Modellierer wie Rhinoceros® oder solidThinking hat sich in den letzten drei Jahren das Arbeiten mit freien Formen bei vielen Architekten und Bauingenieuren zum festen Bestandteil der CAD-Praxis entwickelt. Und so soll sich auch im Büro des Frank Gehry das kleine flinke Rhinoceros® durchgesetzt haben.

Hierzulande fällt vor allem ein Kreativer durch seine ungewöhnlichen Entwürfe auf. Der Frankfurter Architekt Bernhard Franken hat eine viel grundsätzlichere und stark experimentelle Herangehensweise an das Werkzeug Computer. Kurz gesagt, er baut NURBS. Das wäre nichts Besonderes, schließlich sind viele Produkte die Materialisierung eines CAD-Modells. Franken jedoch geht weiter. Er realisiert seine Objekte, wie sie am Bildschirm erscheinen, also mit der geometrischen Struktur, die sich ihm während der Arbeit am Computer darstellt: Er baut nicht nur die Körper, die die Flächen umschreiben, er baut auch die Gitterlinien oder Isoparameter-Kurven, die die Flächen am Bildschirm beschreiben, gleich einem riesigen dreidimensionalen Screenshot. Die Hauptelemente seiner Architektur sind nicht nur am Computer erzeugt, ihre Entstehung lässt sich auch in jedem Teil ihrer realisierten Struktur ablesen.

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Die hydromorphe Formensprache Frankens ist in seinen Projekten deutlich zu erkennen
Um eine mit rigorosen Entwurfsmethoden entwickelte Architektur realisieren zu können, braucht es neben Persönlichkeit und Überzeugungskraft auch einen Bauherren, für den Frankens Architektur das richige Transportmittel seiner Kommunikation ist. Und es braucht starke Parter bei der Realisierung.

Bernhard Franken hat das Glück, über alles zu verfügen. Als Bauherren hat er die BMW AG gewonnen, für die er die Messearchitektur für die internationale Autoausstellung in Frankfurt 1999, den diesjährigen Autosalon in Genf und die Expo-Außenstelle von BMW in München entwarf und plante. Im Mittelpunkt der Auftritte von BMW steht die neue Wasserstofftechnologie, die der Konzern zur Serienreife bringt. Verständlich also, dass BMW bewusst auf die hydromorphe, also der Gestalt des Wassers entlehnte Formensprache der Franken'schen Entwürfe setzt.

Und er hat gute Partner. Allen voran das internationale Großbüro ABB-Architekten in Frankfurt, unter dessen Namen er realisiert. Senior-Chef Heinz Scheid und seine Junior-Partner verfügen über genug Erfahrung bei Großprojekten und Fingerspitzengefühl im Umgang mit großen Bauherren. Denn klein waren Frankens Projekte trotz ihres temporären Charakters nicht.

Unverzichtbar ist auch ein Ingenieurbüro, das die Tropfen und Wellen in seinen Entwürfen in baubare und stabile Tragwerke umsetzt. Die Frankfurter Tragwerksplaner Bollinger + Grohmann sind schon früh auf die “schiefe“ Bahn geraten, sind sie doch für die Realisierung der “kriminellen“ Entwürfen der Wiener Dekonstruktivisten Coop Himmelb(l)au verantwortlich, wie unlängst beim Ufa-Kino in Dresden.

Frankens Karriere begann anlässlich der IAA 1999 in Frankfurt. Der Experimentalbau aus Aluminium und Plexiglas, der hier entstand, kann als Archetyp der Computerarchitektur durchgehen, denn er stellt zwei Tropfen dar, eingefroren im Augenblick ihrer Verschmelzung. Diesen Vorgang hat Franken in Maya von Alias|Wavefront simuliert. Maya war eigentlich als Animationsprogramm für Filmtricks entwickelt worden und bietet viele Möglichkeiten, Kräfte oder Strömungen auf Körper anzuwenden, die sich in ihrem Kraftfeld verformen. Diese Fähigkeiten nutzen Franken und sein Team als Entwurfsmethode, indem sie Grundkörper durch abstrakte Kräfte, die sie aus dem Umfeld der Bauten abgeleitet haben, verformen lassen.

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Franken hat eine stark experimentelle Herangehensweise an das Werkzeug Computer - er baut quasi NURBS-Flächen
Im Fall der “Bubble“, wie er sein skulpturales Werk liebevoll nennt, wurden zwei Tropfen wie auf einer lackierten Motorhaube vom simulierten Fahrtwind ineinander getrieben. Ist die Form einmal erzeugt, verändert Franken sie nicht mehr. Sein Ziel ist es, die Form aus dem Computer auf kürzestem Weg mit allen ihren strukturellen Merkmalen wie Trimmkanten oder Isoparametern, also den Bezierkurven, die die Gestalt der Freiformfläche bestimmen, der Realisation zuzuführen.

Um die BMW AG bei ihren Auftritten beim Autosalon Genf 2000 und für die Clean-Energy-Ausstellung auf der EXPO-Außenstelle in München ins rechte Umfeld zu setzen, ließ Franken ebene Flächen unter Einwirkung von Kräften aus der jeweiligen Umgebung zu expressiven Geometrien verformen. So waren es beim Entwurf für Genf zwei Strömungen, die auf eine messestandgroße Grundfläche Einfluss nahmen: eine laminare Strömung, die aus dem Eck der riesigen Messehalle in den Raum vor dem Stand wirkte und ein vortex-artiger Kraftverlauf aus dem zentralen Objekt auf dem Messestand, dem Formel-1-BMW dieser Saison. Auch hier wurde die verformte NURBS, sobald ihre Gestalt feststand, auf kürzesten Weg zusammen mit den Isoparametern, die ihre Gestalt in Maya beschrieben, auf den Weg der Realisierung gebracht.

Doch auch der kürzeste Weg ist oft ziemlich lang und mit Umwegen versehen. Die Koordination der Ausführung der Freiform-Objekte übernahm bei allen drei BMW-Projekten das Ingenieurbüro der beiden Statik-Professoren Klaus Bollinger und Manfred Grohmann. In deren Konstruktionsabteilung setzt man seit frühesten Beta-Versionen auf den NURBS-Modeller Rhinoceros® - ein unkompliziertes und hochpräzises Tool, das schnelleres und flexibleres Arbeiten ermöglicht, als so mancher “Dinosaurier“ unter den 3D-Modellierern und das obendrein noch eine Unmenge von Datenformaten lesen und schreiben kann.

Rhino, wie das Programm verniedlichend genannt wird, hat sich hier als zentrales Konstruktionswerkzeug einerseits und als vielseitiger Konverter auf der anderen Seite, vor allem zu den eingesetzten Finite-Elemente-Paketen ANSYS und R-Stab bewährt. Von der Oberflächenanalyse und Glättung des Entwurfsmodells bis hin zur Aufbereitung der Fertigungsdaten überzeugte das “Nashorn“, dessen stark an AutoCAD angelehnte Bedienung nicht im mindesten mit der Behäbigkeit des namensgebenden Tieres zu vergleichen ist, das der Hersteller McNeel für sein Produkt nicht ohne ein Augenzwinkern auswählte.

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Eine ausdrucksstarke NURBS-Geometrie bestimmt den Messeauftritt der BMW AG
War die Herstellung der “Bubble“, deren Tragstruktur aus wasserstrahlgeschnittenen Aluminium-Spanten besteht, auf denen eine sphärisch gekrümmte Acrylglashülle befestigt ist, vorwiegend durch den Einsatz von CNC-Technik für Alu-Schnitt und Fräsen der Schaumblöcke zum Formen der Acrylglasscheiben geprägt, herrschten bei den gebauten NURBS-Geometrien aus Genf und München mit ihren frei im Raum verlaufenden gekrümmten Profilen und Rohren fast ausschließlich handwerkliche Techniken vor.

Diese Konstruktion besteht aus einem Gitter von eigens entwickelten Aluminium-Extrusionsprofilen und flexiblem Verbindungssystem, das an kräftige Randträger aus Stahlrohren angeschlossen wird. Hierbei werden die Isoparameter der zu Grunde liegenden NURBS durch Aluminium-Profile abgebildet, während der stählerne Rand die Trimmkante der Freiformfläche beschreibt.

Zu Beginn der Ausführungsplanung für das Projekt Genf stellte sich Ernüchterung ein. Keine Firma, die auf das Biegen von Stahlprofilen spezialisiert ist, war in der Lage, die kräftigen Stahlrohre des Randträgers mit der gewünschten engen Toleranz abschnittsweise zu Biegen. Spätestens beim Zusammensetzen der Abschnitte zu der knapp 80 Meter langen Form würden die Toleranzen davonlaufen. Erschwerend kam hinzu, dass an einen kompletten Probeaufbau der Struktur vor allem aus Zeitgründen nicht zu denken war.

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Der Randträger des Messestandes anläßlich des Autosalons in Genf 2000 war in über hundert Einzelteile zerlegt
Den kreativen Köpfen des Ingenieurbüros und der Messebaufirma entstammt die einfache wie geniale Lösung des Problems: Alle Freiform-Kurven werden in eben gekrümmte Bogenstücke zerlegt, die zu der komplexen Geometrie zusammensetzbar sind. Im Fall der Aluprofile wurde Abschnittsweise in eben verlaufende Kurven vereinfacht und die endgültige Geometrie durch vorberechnetes “Hinziehen“ eingestellt. Für die Stahlrohre, die den Rand der Fläche bilden, wurde ein besonders ungewöhnlicher Weg beschritten: Der Randträger mit seinen 22 cm Durchmesser wurde in über hundert einzelne einseitig gekrümmte Teile zerlegt, die dann in nächtelanger Arbeit auf einem eigens entwickelten Richttisch zusammengeschweißt wurden. Mit dieser Bauweise erzielte man eine maximale Präzision, sodass die in jedem Anschluss aufnehmbare Bautoleranz von 6 cm bei einer Bauteilgröße von über 80 Metern nicht annähernd in Anspruch genommen werden musste.

Beim Versuch, die freien Randkurven in Bogenstücke zu zerlegen, die im Raum tangential ineinander übergehen, stießen die Konstrukteure bei Bollinger+Grohmann jedoch auf die Grenzen von Rhinoceros®. Die knifflige Aufgabe war nicht in angemessener Zeit zu lösen. Hilfe brachte ein Anruf beim Rhino-Distributor flexiCAD in München. Herr Meyer, Firmengründer und Übersetzer der Rhino-Handbücher ins Deutsche, schickte eine 30-Tage-Version des Nurbs-Modellers solidThinking, den er zusammen mit Rhino im “Bündel“ vertreibt. Dieses Programm glänzt neben der ersehnten Möglichkeit, eine freie Kurve in Radien zu zerlegen, mit einer vollwertigen Historie und Rhino- sowie Maya-Schnittstellen. Einmal zerlegt wurden die Lage der Einzelteile und deren Verdrehwinkel zueinander ermittelt und der Randträger in knapp drei Wochen hergestellt.

Das bange Gefühl, das einem befällt, wenn aus einem CAD-Modell Wirklichkeit wird und sich Fehler erbarmungslos offenbaren, kennen wohl viele CAD-Anwender, und es blieb auch den Ingenieuren nicht erspart. Es erwies sich zum Glück als unbegründet. Alles passte an seinen Platz. Der Aufbau, der in Genf mit zweieinhalb Wochen knapp bemessen war, ging schneller voran als erwartet, und die Notebooks der Konstrukteure, die zur Hilfestellung der Monteure mitgebracht wurden, blieben ungenutzt in den Hotels.

Friedrich Busam / CAD-News
Auf der Clean Energy Ausstellung ließ Franken ebene Flächen unter Einwirkung von externen Kräften zu expressiven Geometrien verformen
Das Folgeprojekt der Clean-Energy-Ausstellung in München stellt den vorläufigen Höhepunkt in der Serie der BMW-Ausstellungsbauten von Bernhard Franken dar. Während im Innenraum einer alten Halle auf dem ehemaligen Münchner Messegelände auf der Theresienwiese eine fast 100 Meter lange “Wave“ die Ausstellung aufnahm, gab es vor der Halle ein Wiedersehen mit der “Bubble“. In einem Wasserbecken gelegen, tagsüber als Cafe und nachts als Nightclub genutzt, bot sie Raum für den wohl “spacigsten“ Tanzklub dieses Sommers.

Mittlerweile entwirft und plant Franken schon an seinem nächsten großen Projekt. Genaueres mag er mit Rücksichtnahme auf seinen Bauherren aber noch nicht verraten. Sicher ist nur soviel, rechte Winkel und ebene Flächen wird man vergeblich suchen.

Dieser Artikel ist der CAD News 6/2000 mit freundlicher Genehmigung der up2media AG entnommen worden.

© CAD News, Matthias Michel

von Matthias Michel

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